Es ist keine Schauspielerei, sondern Leben

Perhan Rustem, Roma, nun ein Neunzehnjähriger, ist unser erstes Kind, dass an einen „Besitzer“ verkauft wurde um zu stehlen. Jetzt lebt er in Skoplje, nach vier Jahren Aufenthalt in dem KP- Heim, nackt und barfuß, wie er es auch war, als er als siebenjähriger nach Italien gebracht wurde. Obwohl nur ein Kind, wurde er sehr schnell zum „Champion des Diebstahls in ganze Italia“, und seine Bosse und Verwandten, die ihn untereinander weiterverkauften und in diesen acht Jahren elenden Lebens ausbeuteten , wurden reich und bauten sich Häuser von dem Geld und Gold, das Perhan in den reichen italienischen Häusern stahl. Und er – wieder auf der Straße, ohne irgendetwas eigen nennen zu können, bestätigt mit eigener Haut ein altes Roma-Sprichwort „Zigeuner hat zwei Hände, deshalb um mit eine zu nehmen und mit andere zu geben, und bei ihm bleiben nichts.“

Rustems Lebensgeschichte inspirierte unseren erfolgreichsten Regisseur, Emir Kusturica, den Film ‚‘Time of the Gypsies“ zu machen, der Verwirklichung, über die bereits groß und breit gesprochen wird, und die aus Realität, Visionen und Träumen gewebt ist. Die Hauptrolle, des „Zigeuners“ Perhan hat Kusturica dem ungelernten Schauspieler Davor Dujmovic anvertraut, unserem Gesprächspartner, einem Neunzehnjährigen hinter dem bereits Rollen aus dem berühmtem „Papa“ und Matericevos „Strategie der Elster (The Magpie Strategy)“ liegen.

Der wahre Grund für das Gespräch mit Dujmovic war die Weltpremiere von ‚‘Time of the Gypsies“, als die Spannung ihren Höhepunkt erreichte, unterstützt durch die BEST-Wertungen der Kenner und der Erkenntnis , dass ein solches Film-Spektakel in Sarajevo abgehalten wird.
Alle „Augen“ waren auf „Skenderija“ gerichtet, wo eine Film-Veranstaltung/Parade vorbereitet wurde mit Szenarien ähnlich denen in Hollywood, und die Gespräche in der Stadt endeten stets mit der Frage: „Wirst du dir „Time of the Gypsies“ ansehen? Aber von Davor Dujmovic keine Spur!

Die Telefonnummern wählten wir mit Angst vor dem Scheitern, da wir gehört hatten, dass  er sogar dem vereinbarten Gespräch im TV ausgewichen ist. Doch wir fanden ihn, aber nur dank der Freundlichkeit und dem Engagement von Freunden aus dem Produzenthaus „Forum“ -Abgemacht, aber hätte mich nicht Tante Andja gefragt…- hat er uns endlich sein Erscheinen bestätigt.

In nebliger, sehr kalter Abenddämmerung von Sarajevo, warteten wir am Ufer auf Dujmovic.
Durchgefroren, erfreuten wir uns der Silhouette, die sich zur vereinbarten Zeit durch den Smog kaum erahnen ließ.

Bist du das, Davor?

Nein, sondern du!

Dies war eine Lausbubenantwort, typisch Sarajevoerisch , die alle Schranken im Kontakt mit unbekannten Leuten niederreißt doch angemessen Dujmovics Alter und Charakter ist. Ein Bursche, einfachen Aussehens und noch einfacherem Umgang, gekleidet in Jeans, fast schäbig, Karo-Hemd und einer „Schofför“-Lederjacke, in die er sich fast bis zu den Ohren verkriecht.

Wir werden nicht lange machen, ne‘? Ich muss noch von meinem Kumpel Winterreifen für „fico“ kaufen, gebrauchte.

Das Gespräch begannen wir queer, isforsirano, und eine recht lange Zeit schafften wir es nicht Davors „Wellenlänge“ zu finden. Und dann, plötzlich, entspannte er sich, ging sogar aus sich raus und seine immer noch kindlichen Augen begannen in Erinnerungen zu schweifen. Er hat vieles gesagt und etwas schüchtern ließ er uns den Rest erraten. Wir begannen mit dem Anfang. Ab 1983 als ihn Kusturica, auf der Suche nach einem Schauspieler für die Figur des älteren Kindes der Familie Malkoc in dem Film „Papa ist auf Dienstreise“ in einem Restaurant in Sarajevo erblickte.

Natürlich habe ich sofort angebissen. Wie hätte ich das auch nicht sollen, denn ich war damals 13 Jahre alt, und das ist das Alter, in dem du dir Gedanken darüber machst, ob du eher ein Pilot oder ein Astronaut werden möchtest. Und zum Film? Das ist doch noch attraktiver.

Die späteren Erfolge von „Papa“, haben keinen Einfluss auf Davors Privatleben. Kurzdarauf erhält er eine Rolle in dem Film „Strategie der Elster“ und erfährt noch während der laufenden Dreharbeiten von dem Fahrer des Teams, dass Emir Kusturica beabsichtigt ihn für die Hauptrolle in seinem neuen Film zu engagieren.

Hat da das Herz schneller geschlagen?
Ja schon, muss ich gestehen. Aber, ich glaubte es nicht.

Dennoch geht er zu den Probeaufnahmen nach Skopje, wo er erfolgreich seine eventuelle Konkurrenz aussticht. Davor wird Perhan. Die ersten Tage die er in dem Roma-Viertel „Sutka“ verbrachte, hinterließen einen tiefen Eindruck auf ihn. Wie denn auch nicht, denn dort, wie man annimmt, leben vierzigtausend Roma, vorwiegend in Armut, und so ungewöhnlich glücklich in ihrem Unglück, wie auch lebensfreudig in eigener Haut.

Hattest du Angst vor einer so großen Rolle?

Nur am Anfang. Später tauchte ich in alles Schrittweise ein. Und als sich die vorgesehenen drei Monate Drehaufnahmen auf neun ausdehnten, schien es mir, dass es kein Ende nimmt. Und nun wiederrum würde ich alles geben, um zurückzukehren, selbst in den schwierigsten Tag der Dreharbeiten.

Sahst du deine Tätigkeit als Arbeit oder Vergnügen?
Mehr als eine große Verpflichtung, aber gegenüber einem Freund. Morgens, wenn ich um sechs Uhr, fürs Make-up aufstehen musste, und um drei Uhr nachts erst im Bett lag… es fiel mir schwer. Niemand hätte mich kritisiert, oder mir etwa eine Abmahnung gegeben, aber .., was würden die über mich denken? fragte ich mich, und stand auf.

Davor Dujmovic gibt zu dass er sich anstrengte, aber er sagt, dass es ihm kein Leiden bereitete (dass er kein Leid empfand), da er wusste, dass die anderen sich genau soviel Mühe gaben. Dennoch ergriff ihn oft der Wunsch einfach nach Hause zu gehen, und dass das alles ein Ende nimmt. In der Zeit von neun Monaten (die Dreharbeiten begannen bei plus vierzig Grad und einige Szenen wurden bei minus zehn Grad im Wasser gedreht, nur in Unterhosen gekleidet) hatte er nur drei Tage frei. Die restlichen verbrachte er vor der Kamera.

Wie ist es mit Kusturica zusammenzuarbeiten? Wie schafft er es aus einem Laiendarsteller, das Beste rauszuholen, das was später auch von der Welt bewundert wird?
Ich habe mich nie mit ihm hingesetzt und über die Schauspielerei gesprochen. Er kompliziert
nichts, so dass der Eindruck entsteht, es handelt sich nicht um Schauspielerei sondern ums Leben. Wenn ich etwas mache, gibt er mir Suggestionen in der Art: das musst du so, so ist es gut, hier wirst du lauter, usw. Genau das gefällt mir bei ihm so sehr, diese Einfachheit.

Und kann er auch wütend werden?
– NAAAA JAAA, doch, doch das kann er weiß Gott. Da wir in diesen neun Monaten, nicht alle Tage waren und konnten auch nicht die besten sein, wurde er auch wütend.

Und wenn es gut ist, zeigt er das?
Nein. Wahrscheinlich damit ich nicht weiß, dass es gut war und damit ich mich weiterhin bemühe es noch besser hinzukriegen. Damit ich weiterkomme. Niemals hat er mir gesagt: „Das ist gut!“ oder „Gratuliere“.

Davor schweigt und schwelgt in Erinnerungen, und dann während er uns erklärt, dass er es dennoch verstand Kusta (Kusturica) „zu durchschauen“, nennt er uns ein Beispiel.

Die Dreharbeiten fanden im Haus der Oma statt. Eine schwierige Konfliktszene mit meinem Onkel, als ich nach meiner Rückkehr aus Italien Azra schwanger vorfinde, da er sie vergewaltigt hatte. Auf alle Fälle, um nicht mit den Details zu übertreiben, schreie ich ihn an, er weint… und all das passiert „in der Luft“. Das Haus ist nämlich von einem Kran auf den Haken genommen worden, was ich in meiner Wut tat, so wie es früher der Onkel machte. Eine qualvolle Szene, rührend… Auf einmal sehe ich von oben das ganze Team und die Vielzahl der Roma aus der Siedlung, die immer um uns herum waren und einen unerträglichen Lärm machten, aber ich höre nichts. Nur ein zustimmendes Schweigen. Man konnte den Flügelaufschlag einer Fliege hören. Und Kusturica weinte. Da wusste ich, dass es gut war.

Auf die Frage, ob man ihn wie ein Hauptdarsteller behandelte, antwortet Davor, angeblich verärgert: „Ha, ganz und gar nicht!“ Und dann, erklärt er uns schnell, um Missverständnisse zu vermeiden, dass alles nur deshalb genauso wurde wie es ist, weil niemand der WICHTIGE war! Warum sollte sich dann Davor so etwas wünschen? Aus diesem bescheidenen Jungen, an der Schwelle von zwanzig Jahren, kommt oft das Kind zum Vorschein. So ist es auch während er erzählt wie er fünf oder sechs weiterführende Schulen besucht hatte, jedoch die …… absolvierte – die schlimmste! Eine Klasse auch in Bosanska Kupa, wo sie gedreht haben: „Kein Vitamin B, bei dem Leben meiner Mutter, ich saß und lernte“. Wir erfahren dass er die ….. Musikschule, Abteilung für Akkordeon und Klavier, absolviert hatte und mit der Mittelschule begann, wo er Fagott spielte. Er kam nicht weiter als bis zur ersten Stufe.

Einst war ich mal der beste Schüler, dann verschlechterte ich mich, und schließlich, schaffte ich es der Schlechteste zu werden. Nachher habe ich mich wieder zusammengerissen.

Kindisch wirkt er auch wenn er von den Reisen erzählt und wie sie sogar drei mal in Rom waren: Wir sind auf den Geschmack gekommen, ha, ha …

Oder wenn er über Sinolicku Trpkovu, der schönen Schauspielerin aus dem Film, sagt: „Sie ist geil!“ – Wie dem auch sei Davor Dujmovic fesselt mit seiner Sympathie. Das Geld, sagt er, ist bei alledem keine Motivation. Selbst das, was er verdient hat, verschwand „als ob es nie da gewesen wäre.“ Es blieb nur der acht Jahre alter „Fico“, den er von Kusta (Kusturica) erwarb.

Aber ich habe ein pride Getriebe bekommen!
Nach dem Fotoshooting testen wir den „fico“ mit gemischten Gefühlen. Wir fahren zu Alipaschas Feld, einer Siedlung in Sarajevo, wo Davor wohnt, eigentlich gleiten wir mehr, da die Winterreifen, wie gesagt, noch gekauft werden müssen.

Das höre ich, sagt Dujmovic und es ertönt die Musik von „No smoking“. Auf dem Boden seines Aschenbechers sehen wir die Aufschrift: „No smoking“. Ist es Werbung oder ein Verbot?

Nimm‘s, wie du es willst, sagte Davor und verschwand, wer weiß wohin!

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